Im freien Fall hilft Aufwind nicht, Herr Kubicki
Ich habe Wolfgang Kubickis neues Buch gelesen. Was mit "Eine liberale Kampfansage" untertitelt ist, ist leider vor allem eine vergebene Chance.
Wie viele APO-Liberale dürften in den nächsten Jahren die Chance bekommen, ein Buch zur Zukunft des Liberalismus in einem großen Verlag zu veröffentlichen? Die Antwort dürfte sein: relativ wenige. Wolfgang Kubicki ist durch seine jahrelange Talkshow-Präsenz immer noch einer der bekanntesten Politiker Deutschlands - und vermutlich derzeit sogar der bekannteste aktive FDP-Politiker. Grund genug für Westend, ihm diese Chance zu geben. Nur leider hat er sie vertan. “Aufwind im freien Fall” ist eine komplette Enttäuschung.
Das beginnt schon mit dem Untertitel, der in die Irre führt. Das Buch enthält eben keine liberale Kampfansage, sondern einzig Lamento mit Blick in den Rückspiegel. Es ist nun keine überraschende Erkenntnis, dass die FDP in den letzten Jahren nicht alles richtig gemacht hat. Man wundert sich aber doch, dass Wolfgang Kubicki als langjähriger stellvertretender Parteivorsitzender, langjähriger Vizepräsident des Deutschen Bundestags und langjähriger Abgeordneter mit all den schwierigen Entscheidungen dieser Zeit offensichtlich nichts zu tun hatte und sich Mühe gibt, dies auch mit Zitaten aus eigenen Reden oder Texten zu belegen. Man gewinnt zusammen, aber verlieren tun immer nur die anderen. Dazu passt auch, dass er es sich nicht nehmen lässt, Verschwörungserzählungen rund um die Wahlniederlage aufzugreifen (“Vieles lässt sich auf den 31. Januar 2025 zurückführen”, den Tag der Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz). Monokausalität mag in Gesprächen mit der Bild-Zeitung oder in Talkshows funktionieren. Die realen politischen Vorgänge lassen sich so allerdings nicht beschreiben.
Es ist natürlich nicht so, dass Kubicki nur Blödsinn geschrieben hätte. Im Gegenteil. Den allermeisten Beobachtungen würden viele Menschen - inklusive mir - zustimmen. Das Problem an seinem Buch ist vielmehr, dass er in der Regel bei einer allgemeinen Problembeschreibung stehenbleibt. Natürlich ist in der Corona-Zeit vieles aus dem Ruder gelaufen und hätte aufgearbeitet werden müssen. Natürlich haben wir ein Problem mit linker Debattenführung (mit rechter Debattenführung beschäftigt er sich wenig). Nur macht das noch kein politisches Programm, schon gar kein liberales. Kubickis Problembeschreibungen würden auch Konservative, Rechte und links-rechte Wagenknechtjünger in weiten Teilen zustimmen. Ihre (autoritären) Antworten sind bekannt. Welche liberalen Antworten wir geben müssen, lernen wir bei Kubicki aber leider nicht. So erntet man vielleicht Kopfnicken bei vielen Menschen, aber nicht automatisch auch Wählerstimmen.
Im freien Fall hilft Aufwind leider überhaupt nicht. Flügel wären hilfreich. Doch wie dem gestutzten Adler FDP diese Flügel wieder wachsen sollen, verschweigt uns Wolfgang Kubicki leider. Ich hätte mir gewünscht, dass er seine Prominenz in den Dienst des Liberalismus gestellt und ein Buch mit einer liberalen Vision gemeinsam mit dem neuen Bundesvorsitzenden Christian Dürr oder der neuen Generalsekretärin Nicole Büttner geschrieben hätte. Dafür hätte es aber den Blick nach vorne gebraucht, anstatt sich mit dem Rückspiegel zu beschäftigen. Warten wir also auf die nächste Chance für liberale Köpfe. Und hoffen wir, dass sie dann genutzt wird.
Ich habe mir auch ein paar Gedanken dazu gemacht, wie es mit der FDP weitergehen soll. Einige sind schon publiziert, etwa hier. Andere folgen über den Sommer. Wenn Ihr nichts verpassen wollt, lasst also gerne ein Abo da.